Fremdkörper
Seit frühesten Zeiten sind fremdkörperbedingte Entzündungen des Bauchfells ein wohlbekannter Krankheitskomplex bei den Wiederkäuern. Das urtümliche Fressverhalten des Rindes (flächenmässiges und schnelles Abfressen auf der Weide und nachfolgend Wiederkauen im geschützten Unterstand) begünstigt die Aufnahme von „fremden“ Gegenständen mit dem Futter. Sie werden sehr einfach geschluckt, passieren die Speiseröhre in der Regel problemlos und gelangen in die Haube (Netzmagen). Die Haube ist der erste der drei Vormägen.
Metallische Gegenstände bleiben wegen ihrem Gewicht und ihrer Grösse bevorzugt am Boden der Haube liegen. Sie können die Haubenwand mit scharfen Kanten und Spitzen verletzen, die Wand sogar perforieren. In unmittelbarer Nähe zur Haube liegen die anderen Vormägen, Leber, Milz, Zwerchfell, Lunge und Herz. Wenn der Fremdkörper die Haubenwand durchstösst, kann es daher zu Verletzungen oder lokalen Entzündungen an diesen Organen kommen.
Je nach der Art des Gegenstandes und der Verletzung, welche die Fremdkörper verursachen, fallen die Krankheitssymptome unterschiedlich aus. Fremdkörper können ohne zu stören in der Haube liegen, sie können aber auch zu leichtgradigen Fressstörungen bis zur vollständigen Inappetenz führen und der Allgemeinzustand kann entweder gut bleiben oder aber sich auch sehr schnell verschlechtern.
Die häufigste fremdkörperbedingte Folgekrankheit ist eine Hauben-Bauchfell-Entzündung (lat.: reticuloperitonitis traumatica). Durch die Perforation durch den Fremdkörper kommt es zu einer lokalen Entzündung von der äusseren Haubenwand und zu „Verklebungen“ zwischen Haube und Bauchfell. Die Kontraktionswellen der Haube können dadurch beeinträchtigt sein. Es kann sich ein Abszess bilden oder in schlimmen Fällen dehnt sich die Entzündung innerhalb der Bauchhöhle noch weiter aus. Es ist wichtig zu wissen, dass diese Infektionen auch dann noch weiterbestehen können wenn der Fremdkörper die Haube nicht mehr perforiert. Selten kommt es zu fremdkörperbedingten Infektionen von Lunge oder Herz (-beutel).
Wenn Nervenbahnen vom Entzündungsprozess betroffen werden, kann es zu erheblichen Störungen der Kontraktionswellen im Pansen kommen. Diese Kühe zeigen immer wieder einen geblähten Pansen, obwohl sie eigentlich zu wenig fressen.
Diagnostik
Die „Fremdkörper-Erkrankung“– Diagnose beim Einzeltier
Eine Fremdkörper-Erkrankung kann prinzipiell alle Altersklassen treffen. Aufgrund des grossen Nährstoffbedarfs und dem dadurch bedingten grösseren Futterverzehr werden die meisten Fälle jedoch bei laktierenden Kühen diagnostiziert.
Je nach Schweregrad der Erkrankung (störender, stechender oder perforierender Fremdkörper, Ausdehnung der Entzündung) sind die Symptome verschieden. Allen Fällen gemeinsam ist eine reduzierte Fresslust, herabgesetzte Pansenperistaltik und eine bisweilen abrupt verminderte Milchleistung. Werden die Probleme grösser, zeigen die Kühe einen aufgekrümmten Rücken und die Bauchdecken sind gespannt. Die Körpertemperatur ist in diesen Fällen in der Regel nur leichtgradig erhöht. Der Pansen kann gebläht sein. Bei schweren Fällen hört man spontanes Stöhnen, insbesondere beim Abwärtslaufen.
Bei chronischen Fällen kommt es zu einer Abmagerung, die Bauchdecken sind gespannt, es wird relativ wenig und schlecht verdauter Kot abgesetzt, eventuell gibt es eine leichte Blähung der linken Flanke, das Haarkleid ist matt und struppig und der Gang ist oft etwas „steif“.
Der Tierarzt stützt sich bei seiner Diagnosestellung auf verschiedene Punkte: Fieber, veränderte Motorik des Pansens, schlechte Schichtung des Panseninhalts, veränderter Mist und positive sogenannte „Fremdkörperproben“.
Widerristgriff:
Dabei wird der Widerrist des Tieres mit der Hand kräftig umfasst und zusammengedrückt. Das Tier will dem Druck ausweichen, in dem das gesunde Tier seinen Rücken senkt. Wenn sich ein stechender Fremdkörper in der Haube befindet, wird diese Bewegung als schmerzhaft empfunden. Das Tier versucht nach hinten auszuweichen und gibt einen stöhnenden Laut von sich.
Schmerzperkussion:
Auf die Unterbrust wird kräftig mit den Fäusten geschlagen. Dies bewirkt beim Tier wiederum eine Schmerzreaktion mit Stöhnen und eventuell ein Ausweichen nach hinten. Um das Tier an das Klopfen zu gewöhnen, beginnt man mit dem Klopfen an der Seitenbrust, um dann langsam nach unten zu gehen. Stöhnen darf erst unten auftreten.
Stabprobe:
Mit einem Rundstab wird von zwei Personen die Bauchwand des Tieres langsam gehoben und danach sehr schnell losgelassen. Man wiederholt diese Prozedur schrittweise von vorne nach hinten. Ein schmerzhaftes Geschehen kann mit dieser Methode genauer lokalisiert werden.
Für alle oben beschriebenen Untersuchungen muss entweder eine Hilfsperson vor dem Tier stehen, um ein Stöhnen wahrnehmen zu können oder man hält das Stethoskop an die Luftröhre.
Weitergehende Untersuchungen können die Verdachtsdiagnose bestätigen oder lassen den Schweregrad der Krankheit abschätzen:
- Blutuntersuchung: insbesondere der Nachweis von Entzündungsprodukten
- Ultraschalluntersuchung der Haubenregion: Beurteilung der Kontraktionswellen der Haube (ist gestört bei Verklebungen) und die Darstellung allenfalls vorhandenen entzündlichen Veränderungen im Haubenbereich.
- Röntgenbild: Nachweis eines metallischen Fremdkörpers.
- Metalldetektor: Nachweis von metallischen Fremdkörpern.
- Bauchhöhlenpunktion und Untersuchung der Bauchhöhlenflüssigkeit: Kann Auskunft über den Schweregrad der Entzündung geben.
Zur Untersuchung des Tieres gehört auch, dass die Anwesenheit und der Sitz eines allenfalls verabreichten Verweilmagneten in der Haube mittels eines Kompasses geprüft werden. Befindet sich der Magnet in der Haube, so schlägt der Kompass auf der rechten Seite der Kuh auf Ellbogenhöhe am stärksten aus. Befindet sich der Magnet im Pansen, wo er keine Wirksamkeit entfalten kann, ist der maximale Ausschlag auf der linken Körperseite zu finden.
Risikofaktoren/Ursachen
Der hohe Nährstoffbedarf der laktierenden Milchkuh kann ein Vielfaches des Erhaltungsbedarfes betragen. Dies verlangt eine grosse Futterverzehrsmenge. Da die eigentliche Futterzerkleinerung erst während des Wiederkauens stattfindet, ist die Raufutteraufnahme wenig selektiv. Es wird wenig gekaut und schnell geschluckt. Deswegen werden Steine und Gegenstände aus Holz, Plastik oder Metall bis zu einem gewissen Volumen sehr einfach aufgenommen und geschluckt. Das wenig selektive Fressverhalten der Kuh kann deshalb als erster Risikofaktor betrachtet werden.
Weitere Risikofaktoren betreffen die Kontamination des Futters durch Fremdgegenstände. Dabei spielt das konservierte oder in der Krippe dargereichte Frischfutter gegenüber dem Weidegang eine wesentlich bedeutendere Rolle. Entweder wird „kontaminiertes Futter“ geerntet oder die Fremdkörper gelangen während der Ernte oder bei der Lagerung ins Futter. Parzellen entlang einer Strasse, eines Spielplatzes, einer Bahn, eines Bauplatzes oder eines Flusses haben ein grösseres Risiko, unerwünschtes Fremdmaterial zu beherbergen. Bei Weiden besteht die Gefahr, dass Drahtstücke oder Agraffen auf dem Boden landen. Maschinen oder Stalleinrichtungen können Schrauben oder andere Gegenstände verlieren. Bei Bauvorhaben in Stall, Futterlageraum oder Futterachse besteht immer die Gefahr, dass Nägel, Schrauben usw. verloren gehen. In vielen Gebieten, insbesondere mit Heufütterung, tritt die Krankheit im Spätwinter bis Frühling, was gleichbedeutend mit dem Ende der Winterfütterung ist, vermehrt auf.
Prophylaxe
Das natürliche Fressverhalten der Kuh kann nicht beeinflusst werden, Die Prophylaxemassnahmen gehen in zwei Richtungen: Reduktion der Kontamination des Futters durch Fremdkörper und die Eingabe eines Magneten, damit eingefressene Fremdkörper möglichst schnell „unschädlich“ gemacht werden.
Es ist empfehlenswert, die Einrichtungen und die Maschinen regelmässig zu kontrollieren und zu reparieren. Recycling-Gegenstände (alte Reifen, Pfähle usw.) sollen nur in Kontakt mit den Tieren oder mit dem Futter treten, wenn sie keine defekte Metallstücke, Schrauben oder Nägel mehr beinhalten. Die Weiden müssen mehrmals jährlich, abhängig vom Risiko auf den betreffenden Flächen, inspiziert und von Fremdmaterial befreit werden. Der Stall, die Fressplätze, die Futterautomaten, die Liegeboxen und der Auslauf der Tiere müssen sauber und gepflegt sein. Bauarbeiten in unmittelbarer Nähe von Futterlagerplätzen und Futterkrippen müssen so erfolgen, dass keine Nägel und Splitterstücke zurückbleiben können. Die unerwünschten Stücke müssen sorgfältig von dem Futter getrennt werden. Manche Futtermischwagen sind mit einer Magnetbarriere ausgerüstet, welche einige metallischen Teile aus der Mischung ziehen können.
In Problembeständen oder vor problembehafteten Perioden (Bsp: Umbau) können den Rindern (ab dem Alter von 12 Monaten bei Milchrassen, 14 Monate bei Fleischrassen) Verweil-Magnete prophylaktisch über das Maul eingegeben werden. Wenn sie korrekt in der Haube zu liegen kommen, schützen sie die Tiere sehr gut.
Therapie
Die Behandlung hängt in erster Linie vom Schweregrad und dem Verlauf der Kranheit ab. Im Anfangsstadium und ohne Komplikationen ist eine nichtchirurgische Therapie angezeigt. Dazu gehört die Verabreichung eines Verweil-Magneten, gefolgt von einer kurzen Fastenperiode. Ein Fremdkörper, der die Haubenwand verletzt, respektive durchbrochen hat, besitzt 50 % bzw. 30,% Chancen, durch den Magneten angezogen zu werden. Falls die Kuh bereits zur Vorbeugung einen Magneten erhalten hatte, wird bei einer akuten Erkrankung empfohlen, einen zusätzlichen zu applizieren, denn der Erste kann zu schwach oder nicht am richtigen Platz sein. Die Körpertemperatur ist ein wichtiger und sehr guter Gradmesser für den Schweregrad der Krankheit. Bereits bei einer kleinen Temperaturerhöhung sind eine mehrtägige Therapie mit Antibiotika und Schmerzmitteln, begleitet von Fasten und langsamen Wiederanfüttern, angezeigt.
Bei Nichtansprechen auf die oben beschriebene Therapie oder beim Vorliegen anderer Komplikationen (z.B. wiederholtes Blähen) kann ein chirurgischer Therapieversuch durchgeführt werden. Dabei wird vom Tierarzt in einem ersten Schritt die Bauchhöhle in der linken Flanke eröffnet. Die anschliessende Untersuchung der Bauchhöhlenorgane auf Verklebungen gibt Hinweise auf die Prognose. Je grossflächiger diese ausfallen, desto schlechter ist die Prognose. In einem zweiten Schritt wird der Pansen eröffnet, der Inhalt weitgehend geleert, der Fremdkörper gesucht und entfernt. In speziellen Fällen sind noch weitergehende Massnahmen nötig. Kann der Fremdkörper bei der Operation erfolgreich entfernt werden und sind die entzündlichen Veränderungen in der Bauchhöhle und auf dem Bauchfell nur minimal, kann eine günstige Prognose gestellt werden.
Bei massiven Bauchfellentzündungen mit schweren und ausgedehnten Veränderungen in der Bauchhöhle wie Abszessen und Verwachsungen ist die Prognose zweifelhaft bis ungünstig und das Tier kann evtl. mit einer lang dauernden und teuren Therapie gerettet werden, wobei die Milchleistung oft unbefriedigend bleibt. Wenn sich die Entzündung auf mehrere Organe ausgedehnt hat und ein Grossteil der Bauchhöhle verändert ist, empfiehlt sich eine Tötung des Tieres ohne Verwertung des Schlachtkörpers.