Gesunde Rinder

Blinddarmblähung/Verdrehung

Der Blinddarm ist ein blind endender Sack, der sich am Anfang des Dickdarms befindet. Er ist mit Millionen von Mikroben gefüllt, welche am Abbauprozess von Pflanzenteilen beteiligt sind. Ist die Dickdarmtätigkeit (Kontraktionswellen = Peristaltik) herabgesetzt, so wird das von den Mikroben gebildete Gas zu wenig abgeführt und es kommt zu einer Aufblähung dieses Darmteiles. Als weitere Komplikation kann es zu einer Verlagerung der Blinddarmspitze (nach vorne) kommen. Je nach Schweregrad der Krankheit zeigen die Kühe schlechten Appetit und leicht- bis hochgradige Kolik.

International gesehen sind Blinddarmprobleme weniger häufig als Labmagenverlagerungen. Studien aus den Wiederkäuerkliniken von Bern und Zürich haben aber gezeigt, dass die Auftretenshäufigkeit der beiden Probleme in der Schweiz etwa gleich hoch ist.

Übersicht Bauchhöhle einer Kuh

Wirkungsmechanismen

Obwohl die Mechanismen für die Entstehung der Krankheit immer noch nicht vollständig bekannt sind, kann man einige Faktoren benennen, welche sie begünstigen.
Verminderte Darmperistaltik:
Eine reduzierte Darmaktivität ist zentral für die Entstehung von Blinddarmproblemen. Sie wird von Hormonen, Nerven oder von mangelnden Nährstoffen beeinflusst. Inhaltsgefüllte Erweiterungen und Taschen bilden sich entlang des Dickdarms bis zum Blinddarm. Da der Futterbrei kaum weitertransportiert wird, erhöht sich der mikrobielle Abbau (Gärung) an diesen Stellen. Es wird vermehrt Gas produziert, was schlussendlich zu der Blinddarmblähung führt. Viele Faktoren können mitverantwortlich dafür sein. Im Mittelpunkt stehen dabei die Milchleistung, der Futterwechsel, der Kalziumstoffwechsel und die Abbaurate in den Vormägen. Zusätzlich kann eine Allgemeinstörung aufgrund einer infektiösen Erkrankung (Gebärmutterentzündung, Mastitis) ebenfalls zu einer Reduktion der Darmperistaltik führen. Studien haben aber kein vermehrtes Auftreten der Krankheit während einzelnen Produktionsstadien gezeigt.

Quellen: [77, 108, 109, 110, 111]

Diagnose beim Einzeltier

Die meisten Blinddarmblähungen (Blinddarmdilatation = BDD) besitzen einen relativ langsam voranschreitenden Verlauf. Die ersten Zeichen einer einfachen BDD sind Abnahme der Fresslust und der Milchleistung. Die Kuh setzt im Anfangsstadium nur kleine Mengen Kot mit eher flüssiger Konsistenz ab. Kolikerscheinungen (Unruhe, Trippeln, mit den Hinterbeinen gegen den Bauch schlagen, sich niederlegen und sofort wieder aufstehen) können entweder mild oder auch abwesend sein. Je fortgeschrittener die Blähung des Blinddarms ist, desto „gefüllter“ erscheint die rechte Hungergrube.

Lage der Hungergrube bei der Kuh
© Wiederkäuerklinik, Vetsuisse-Fakultät Bern

Tiere mit einer fortgeschrittenen BDD zeigen eine deutliche Fressunlust, einen deutlichen Leistungsabfall und setzen keinen Kot mehr ab. Eine zunehmende Blähung der rechten Flankenregion kann beobachtet werden. Die Kolikerscheinungen  sind in diesem Fall ausgeprägter. Nicht selten bleiben die Körpertemperatur, die Herzfrequenz und die Atemfrequenz im Normalbereich. BDD‘s mit einer Verdrehung zeigen einen rascheren Verlauf mit vollständigem Appetitverlust, Verlust der Wiederkautätigkeit, hochgradigem Milchleistungsabfall und sehr deutlichen Kolikerscheinungen. Der Bauchumfang ist stark vergrössert, sowie die Herz- und Atemfrequenz sind erhöht.

Die beschriebenen Symptome sind unspezifisch und werden nicht nur bei einer Blinddarmdilatation beobachtet. Deshalb ist eine tierärztliche Untersuchung für die korrekte Diagnosestellung notwendig.

Kuh mit Blinddarm-Dilatation

Die Krankheit als Bestandesproblem

Blinddarmdilatationen und -verdrehungen sind in der Regel Einzeltierprobleme. Die Krankheit gehört aber zur Gruppe der Magen-Darm-Störungen (v.a. mit Pansen-, Labmagen- und Dünndarmstörungen). Bei einer Anhäufung dieser Krankheiten im gleichen Betrieb muss dies als Bestandesproblem angesehen werden und insbesondere das Fütterungsmanagement muss überprüft werden.

Quellen: [109, 110, 112, 113]

Obwohl die genauen Ursachen der Blinddarmdilatation (BDD) und –torsion bis heute zum grossen Teil noch unbekannt sind, können Risikofaktoren benannt werden, die im Zusammenhang mit dem Vorkommen der Krankheit beobachtet werden. Sie betreffen die Fütterung, tiereigene Faktoren und die Haltung.

Fütterung:

Protein-Überschuss:
Es wurde festgestellt, dass die Fütterung mit Maiswürfel- und Protein-Konzentrat als begünstigender Faktor angesehen werden muss. Hingegen zeigt die Fütterung mit Maissilage im Winter tendenziell ein tieferes BBD-Risiko.
Ungenügende Mineralstoff-Gaben und Viehsalz:
Eine Supplementierung von Kalzium, Magnesium und Phosphor ist für die Skelettmuskulatur, aber auch für die Muskeln vom Magendarmtrakt wichtig. Bei einer Unterversorgung leidet die Darmtätigkeit. Natrium und Kalium sind zentral für die korrekte Funktion von Herz- und Muskelzellen. Beide Mineralien stellen eine elektrochemische Spannung an den zellumhüllenden Membranen her und ermöglichen die Kontraktion (Zusammenziehen) der Muskeln. Zusätzlich sind beide Mineralien wichtig für den Säure-Basen-Ausgleich. Der tägliche Natriumbedarf beträgt pro kg Trockensubstanz-Verzehr 0.6 g und pro kg Milchproduktion nochmals 0.6 g (DLG). Unter schweizerischen Bedingungen mit einem hohen Anteil an Raufutter liegt die Kalium-Versorgung eigentlich immer über dem Bedarf.
Haltung:
Erhöhtes Risiko, wenn die Kühe im Sommer keinen Weidegang erhalten.
Bewegung scheint die Darmtätigkeit positiv zu beeinflussen, allerdings können auch das Weidefutter oder andere Umweltparameter mitverantwortlich sein.
Tiereigene Faktoren:

  • Laktationsnummer: Ein erhöhtes Risiko für BDD besteht in der zweiten Laktation.
  • Tage nach der Abkalbung: Obwohl keine eindeutige Risikoperiode für das Auftreten von BDD unter schweizer Bedingungen gezeigt werden konnte, beschreiben ausländische Studien, dass bis zu 57 % der BDD in den ersten 2 Monaten nach der Kalbung entstehen (46 % in den 4 ersten Wochen).
  • Genetik: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass gewisse Kuhlinien durch eine angeborene Schwäche der Darmmuskulatur vorbelastet sind.
     

Quellen: [96, 108, 109, 114]

Die spezifischen Krankheitsursachen sind noch unbekannt. Gleichwohl kann man einige wichtige Prophylaxemassnahmen nennen. Grundsätzlich sollte man den Milchkühen eine wiederkau- und leistungsgerechte Futterration anbieten, welche die allgemein anerkannten Richtlinien berücksichtigt.

Im Vordergrund stehen:
Vorbeugung von Produktionskrankheiten wie Hypokalzämie/Festliegen, Pansenazidose, Labmagenverlagerung und Ketose.
Obwohl kein direkter Zusammenhang mit BDD hergestellt werden konnte, ist es verbreitet anerkannt, dass diese (Produktions-) Krankheiten eine BDD begünstigen können. Deshalb ist eine angepasste Galtfütterung sehr wichtig, sowie ein progressives Anfüttern zur optimalen Vorbereitung des Pansens auf die Ration der Laktierenden (siehe Transitphase). Während der Altmelk- und Galtphase muss die Körperkondition überwacht und es muss entsprechend gehandelt werden, damit die Tiere weder über- noch unterkonditioniert abkalben. Eine angepasste Mineralstoffversorgung (Mengen- und Spurenelemente) während der Galtzeit muss gewährleistet sein.
Proteinüberschüsse in der Ration vermeiden:
Am Proteinüberschuss können sowohl Kraft- als auch Grundfuttermittel beteiligt sein. Die Ration muss so gestaltet werden, dass sowohl im Pansen (pansenabbaubare Futterbestandteile) als auch für die gesamte Kuh ein angepasstes Verhältnis zwischen Eiweiss und Energie besteht.
Mineralstoffversorgung:
Die Ergänzung der Ration der laktierenden Kühe mit einer Mineralstoffmischung ist auf jeden Fall angezeigt. Wichtige funktionsfördernde Stoffe sind im Grundfutter oft in ungenügenden Mengen vorhanden.
Weidegang gewährleisten:
Bewegungseinschränkungen und Stallfütterung sind begünstigende Faktoren für die Entstehung einer BDD.

Quellen: [108, 109]

Therapie beim Einzeltier

Behandlung in leichtgradigen Fällen:

Bei gutem Allgemeinzustand, kurzer Dauer des Leidens (weniger als einen Tag), leichten oder abwesenden Bauchweherscheinungen, vorhandenem Kotabsatz und Ausschluss einer Verdrehung des Blinddarms, kann das Tier ohne chirurgischen Eingriff behandelt werden. Ein begrenzter Futterentzug (24 - 48 Std.) und Bewegung (Führen des Tieres, Weidegang) sind dabei hilfreich. Der Tierarzt ergänzt diese Behandlung durch Medikamente (Fördern der Darmperistaltik, Infusionen). Diese Therapie ist in einigen Fällen erfolgreich, Rückfälle sind aber häufig.

Chirurgischer Eingriff bei ungelösten leichtgradigen Fällen, bei mittel- bis hochgradigen Blähungen und bei Verdrehungen:

Sobald der Allgemeinzustand und das Verhalten sich deutlich verschlechtern (heftige Koliken, kein Kotabsatz, fortgeschrittene Blähung) und/oder die Leidensdauer bereits über 24 Std. beträgt, muss eine Operation mit Eröffnung der Bauchwand durch den Tierarzt durchgeführt werden. Unter Sichtkontrolle muss der Blinddarm entgast, entleert und eventuell sogar teilweise entfernt werden.

Wenn die Krankheitsfälle nicht verschleppt wurden, kann man bei einer Operation mit guten Heilungsraten rechnen (77 % - 91 % je nach Studie). Rückfälle und Komplikationen sind aber jederzeit möglich. Bis zur vollständigen Wiederherstellung der Darmtätigkeit dauert es wenige Tage (1 - 7), was insbesondere von der Krankheitsdauer vor der Operation abhängig.

Eine Verdrehung des Blinddarms ist eine lebensbedrohliche Situation für die Kuh und sie muss notfallmässig operiert werden!

Wird zu lange zugewartet, kann es zu  irreversiblen Schädigungen von Darmteilen kommen. Generell sind die Heilungschancen bei einer BDD mit Verdrehung kleiner und die Erholungszeit ist bedeutend länger.

Quellen: [77, 115]